Linien- und Inzucht sind häufig
verwendete Zuchtmethoden bei Hunden, weil sie sehr schnell zu
Erfolgen bei angestrebten Zuchtzielen verhelfen. Dieses beruht
auf der Tatsache, daß viele gewünschte Eigenschaften
eines Hundes durch übereinstimmende Geninformationen zu Tage
kommen. Das heißt beide Elterntiere müssen für
diese Eigenschaften gleiche Geninformationen besitzen. Die Wahrscheinlichkeit,
daß dieses der Fall ist, steigt bei verwandten Hunden erheblich.
Auch bei Weissen Schäferhunden werden diese Zuchtmethoden
häufig angewendet. Sehr viele Züchter und Genetiker
gehen davon aus, daß Inzucht problemlos ist, wenn man sich
gut auskennt und entsprechend aufpaßt. Dabei werden die
Risiken und Probleme aber verschwiegen oder bei Seite gedrängt.
Schon seit längerem warnen Populationsgenetiker (z.B. Frau
Dr. Irene Stur, Dr. Wachtel und andere) vor den Gefahren einer
Zucht mit hohem Verwandschaftsgrad und der Linienzucht. Selbstverständlich
führt eine starke Inzucht zu schnellen und nachhaltigen Ergebnissen.
Man muß sich aber fragen, welche Verbesserungen angestrebt
werden. Meist sind es Fehler im Gebäude, zu große Augen,
falscher Ohransatz, weißes Fell usw. Handelt es sich hierbei
um Fehler, die den Hunden tatsächlich Nachteile irgendwelcher
Art bringen? Oder sind es Fehler, die der Züchter, die Käufer,
der Standard, die Menschen weghaben möchten?
Sollte man nicht
erst die Gesundheit und Vitalität der Rasse verbessern und
den Genpool erhalten? Womit wir bereits beim nächsten Punkt
sind.
Man hört häufig die Meinung,
daß durch die Inzucht bei sachgemäßer Anwendung
keine Nachteile, keine Erbkrankheiten zu erwarten sind. Das stimmt
so aber nicht! Man muß schon eine ganze Menge Daten der
Linien (oder entsprechende Erfahrungen) haben, um das Risiko zu
mindern. Das setzt aber objektive und lückenlose Aufzeichnungen
voraus. Haben wir diese bei den Weißen Schäferhunden?
Bei einem Hund haben wir es mit ca. 100.000 verschiedenen Erbinformationen
zu tun. Wer möchte da von sich behaupten, diese alle in einer
Rasse zu überblicken? Darüberhinaus haben wir im Augenblick
nur die Möglichkeit aufgetretene Erbkrankheiten und Defekte
zu registrieren. Man geht also immer ein hohes Risiko ein, ein
bisher noch nicht aufgetretenes Problem zu Tage zu fördern.
Während es sich bei den Erbkrankheiten
"nur" um ein Risiko handelt, kann man geradezu davon
ausgehen, daß sich über kurz oder lang Vitalstörungen
und Inzuchtdepressionen einstellen werden. Eine israelische Untersuchung
hat ergeben, daß die Vitalität einer Rasse (dieses
bezieht sich nicht nur auf Hunde) entscheidend davon abhängt,
wieviele unterschiedliche genetische Merkmale in ihr vorhanden
sind. Über diese Arbeit erschien ein Artikel in der Zeitschrift
"Boxer Blätter". Auch ein Bericht in der "Hundewelt"
(Ausgabe 4/1994) geht auf diese Untersuchung ein. Es wird anschaulich
der negative Einfluß von Alleleverlusten auf allgemeine
Fitness von Lebewesen beschrieben. Offenbar benötigt ein
Organismus möglichst viele unterschiedliche Geninformationen
für seine Reaktionen auf Umwelteinflüsse. Sonst kann
es sein, daß er z.B. Infektionskrankheiten nicht mehr gewachsen
ist. Bei unserer Rasse haben wir schon eine erhebliche Einschränkung
der Genvielfalt durch die Tatsache, das unsere Hunde ausschließlich
Weiß sind. Inzucht bewirkt immer mehr Hunde, die sich immer
ähnlicher werden und je ähnlicher die Hunde sind, desto
anfälliger werden sie. Als erste Anzeichen werden z.B. immer
häufiger auftretene Hitzeperioden, Haut- und Verdauungsprobleme
und häufige Infektionen genannt. Durch Gespräche mit
vielen Besitzern haben wir den Eindruck gewonnen, daß beim
Weißen Schäferhund vor allem Haut- und Verdauungsprobleme
in letzter Zeit zugenommen haben. Das mag Zufall sein. Es könnten
aber auch Anzeichen einer beginnenden Inzuchtdepression sein.
Desweiteren gehen uns wichtige Geninformationen
verloren. Es ist klar, je ähnlicher sich die Hunde werden,
desto weniger unterschiedliche Geninformationen sind in der Rasse
vorhanden. Wer sagt uns denn, daß wir nicht irgendwann genau
diese Gene mal nötig haben? Was dann? Was, wenn sich doch
einmal Fehler einstellen, wie es bei vielen anderen Rassen schon
häufig vorgekommen ist. Diese Vereine haben auch ähnlich
argumentiert und hatten nachher die unsaglich schwierige Aufgabe,
diese Fehler mit dem engen Genpool wieder herauszuzüchten.
Bei einigen hatte man nur deswegen Erfolg, weil man ähnliche
Rassen wieder einkreuzte.
Abgesehen von diesen wissenschaftlichen
Aspekten ist natürlich auch die Frage, ob sich die Fangemeinde
des Weißen Schäferhundes nicht eine Vielfalt von unterschiedlichen
Hunden erhalten möchte. Im Augenblick gibt es noch unterschiedliche
Schläge von weißen Schäferhunden. Wollen wir einen
einheitlichen Hund? Oder wollen wir Familienhunde, Sporthunde,
Wachhunde, Blindenhunde usw.? Auch diese Frage muß man sich
abseits der wissenschaftlichen Aspekte überlegen.
Viele Populationsgenetiker halten folgende
Punkte für eine Rasse für gefährlich:
Wir wissen, daß beim Weißen Schäferhund schon eine hohe Inzuchtbelastung vorhanden ist und es besteht eine Begrenzung auf eine einzige Fellfarbe.
Das Fatale ist, daß wirkliche Probleme
sich erst nach längerer Zeit bemerkbar machen können.
Das sorgt für ein trügerisches Sicherheitsgefühl:
Wir machen nun schon solange Linien- und Inzucht und noch ist
kein Problem aufgetreten. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse
zeigen aber das Gegenteil.
Es sollte das Ziel sein, gesunde, robuste
und wesensfeste Weiße Schäferhunde zu züchten.
Dazu muß die Zuchtbasis verbreitert werden, auch wenn wir
dadurch bei anderen weniger wichtigen Punkten (Fellfarbe, Augenform
usw.) nicht so schnell weiter kommen. Die Käufer von Welpen
haben ein Recht auf widerstandsfähige und gesunde Hunde!
Meiner Meinung nach kommt nun auch den
einzelnen Züchtern und auch den Welpenkäufern eine Verantwortung
in dieser Frage zu. Sie sollten sich überlegen, ob es sinnvoll
ist, Linien- und Inzucht zu betreiben und ob einzelne Rüden
verstärkt zum Einsatz kommen sollen. Der Züchter kann
durch Auswahl des Deckrüden die Belastung der Rasse beeinflussen.
Jeder Züchter wird z.B. mit Sicherheit einen Grund finden
den Spitzenrüden zu verwenden. Er sollte sich aber überlegen,
ob dieses tatsächlich notwendig ist. Nur dann wird sich eine
bessere Verteilung auf mehr Deckrüden einstellen.
Dr. Hellmuth Wachtel nennt in seinem
Buch "Hundezucht 2000" (Gollwitzer Verlag 1997) als
Minimalziel eine Zucht mit Hunden, die mindestens 3 Generationen
nicht verwandt sind. Das ist beim Weißen Schäferhund
allerdings schwierig.
Auch die Käufer können Einfluß
nehmen, wenn sie bei der Wahl des Züchters diese Punkte hinterfragen
und darauf drängen einen Welpen aus wenig verwandten Linien
zu bekommen. Dr. Irene Stur gibt in einem Artikel ("WUFF"
Ausgabe 7/8 1996) folgenden Ratschlag an Welpenkäufer:
"Die Wahrscheinlichkeit, daß
Defekte im Phänotyp auftreten, steigt mit dem Grad der Verwandschaft
der Elterntiere. Je näher verwandt die Eltern miteinander
sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß
sie gleiche Defektgene tragen und an ihre Nachkommen weitergeben.
Bei der Auswahl eines Welpen ist also auch die Verwandtschaft
zwischen den Elternzu beachten, wobei sich der Grad der Verwandschaft
aus der Zahl der gleichen Ahnen in den Pedigrees der Eltern abschätzen
läßt. Je mehr gemeinsame Ahnen sowohl im Pedigree des
Vaters als auch in dem der Mutter auftreten, umso enger sind die
beiden Tiere miteinander verwandt"
Für mich ergibt sich aus dem Dargelegten, daß beim
Weißen Schäferhund eher an eine Auskreuzung zu denken
ist, als an eine gezielte Inzucht.