Das zurückhaltende Wesen - eine neue Aktualität durch die Zuchtmodalitäten im VDH


Ein Kommentar von Gaby von Döllen

Die Weißen Schäferhunde gelten als zurückhaltend und vorsichtig. Es gibt inzwischen einige Weiße Schäferhunde, auf die diese Wesensbeschreibung überhaupt nicht mehr zutrifft. Die meisten legen aber weiterhin eine gewisse Vorsicht an den Tag, wenn es etwas Neues zu sehen oder zu hören gibt.

Im Grunde kein negativer Charakterzug, vermeintlichen Gefahren vorsichtig zu begegnen.

Dennoch hält sich hartnäckig das Gerücht, die Rasse sei überängstlich, sie bestehe aus Angstbeissern bis hin zu der Argumentation, dass der Hund das Herrchen im Gefahrenfall schmählich im Stich lassen würde und sich aus dem Staube macht.

Was ist mit dem Charakter los und was soll ein Interessent für die Rasse nun denken? Niemand will sich einen Problemhund anschaffen, mit dem er nicht in Menschenmengen laufen kann und der bei jeder im Wind flatternden Fahne die Rute klemmt und das Weite sucht. Diese Hunde gibt es und diese Hunde müssen mit sehr viel Fachwissen, Geduld und Liebe behandelt werden. Es ist aber unnötig, mit diesen Hunden zu züchten und die Anzahl dieser Tiere zu erhöhen. Die Ängstlichkeit ist in hohem Maße erblich und eine ängstliche Hündin gibt in den ersten Wochen über ihr Verhalten zusätzlich sehr viel an ihre Nachkommen weiter.

Man findet diese "Angsthasen" durchaus unter den Weißen Schäferhunden, ebenso wie man sie in anderen Rassen antrifft. Da aber die Weißen Schäferhunde von der Grundveranlagung her vorsichtig sind, ist der Schritt bis zur Ängstlichkeit nicht so groß wie bei einer Rasse, die aus Draufgängern besteht.

Diese Problematik wurde bereits vor vielen Jahren von einigen Vereinen und Züchtern erkannt. Sie selektierten die Hunde und nahmen die ängstlichen Hunde konsequent aus der Zucht. Der Erfolg blieb nicht aus. Einige Vereine gingen soweit, dass sie die Zuchthunde ihrer Züchter eine Prüfung absolvieren ließen, eine sogenannte ZTP. Sie war dann neben den üblichen gesundheitlichen Attesten (wie HD-Röntgen) und Ausstellungsergebnissen (welche hauptsächlich Aussagekraft für Gebäudeverhältnisse, Gangwerk etc hatten) für die Zuchtzulassung notwendig. Diese ZTP war in den letzten Jahren bei allen größeren Vereinen Gang und Gäbe, wobei die zu erfüllenden Übungen sehr stark variierten.

Natürlich führten diese Selektionen, wie sie in den Vereinen betrieben wurden, auch dazu, dass sich einige Züchter abwendeten (oft mit dem Hinweis auf "Vereinsmeierei"), um mit den Hunden zu züchten, die diese Wesensprüfung nicht bestanden hätten. Diese Welpen bekamen aber keine Papiere eines großen Vereines. Ich möchte hiermit natürlich nicht alle Züchter in Bausch und Bogen verurteilen, die nicht über einen Verein der Rasse Weißer Schäferhund züchten. Es gibt dort durchaus Züchter, die ihr Handwerk verstehen, die auf das Wesen achten und die Welpen vernünftig sozialisieren. Einige Züchter aber sehen in den lockereren und nicht rassebezogenen Zuchtrichtlinien eine Möglichkeit, die harten Regeln anderer Zuchtvereine zu umgehen. Dadurch blieb das Problem der ängstlichen Hunde in einigen Bereichen aktuell.

Unter den Vereinen stritt man sich zwar um die Wesens- und Gebäudemerkmale, um Zuchtvoraussetzungen und so weiter, aber im Grunde gab es eine gemeinsame Linie, nämlich die vernünftige Zucht und die Eingrenzung von Wesensmängeln. Man war sich nicht einig, wie weit die Zurückhaltung zuchtmäßig abgebaut werden sollte, aber niemand möchte scheue und panische Hunde.

Die neuen Aspekte durch die Richtlinien des VDH während der Antragsphase

Im Januar 2003 kam nun der VDH in das Spiel und alles änderte sich. Zwei Vereine stellten einen Antrag auf Mitgliedschaft im VDH und mit Antragstellung wurden deren bis dahin gültigen Zuchtrichtlinien außer Kraft gesetzt. Vorläufig - bis zur Aufnahme eines oder beider Vereine. Diese zieht sich nun hin und damit beginnt für die Zucht das Dilemma.

Die Zuchtrichtlinien, die man damals erlassen hatte, dienten dazu, die speziellen Problematiken, die es in jeder Rasse gibt, für die Weißen Schweizer Schäferhunde sinnvoll einzugrenzen und Vorsorge zu treffen, dass sich keine Erbkrankheiten, Wesensfehler etc. einschleichen können. Der BVWS hat Vorkehrungen getroffen, damit die Speiseröhrenerweiterung, die zur Zeit in Einzelfällen vorkommt, aber katastrophale Folgen für die Rasse haben kann, zu erkennen. Der österreichische Mitgliedsverein der FCI schreibt inzwischen das Röntgen auf SE für Welpen zwingend vor. Ein Notwendigkeit, hierauf ein Auge zu haben, scheint dringend, zumal die deutschen und die österreichischen Linien fast identisch sind. Maßnahmen wie diese entfallen bis zur Aufnahme eines Vereins in den VDH - und das kann anscheinend noch dauern!

Die Zuchtwarte kennen die Linien und waren vorher in der Lage, Verpaarungen nicht zu genehmigen. Die Genehmigungen der Verpaarungen trifft zur Zeit der VDH auf Grund von Registrierpapieren, auf denen lediglich ein Hundename steht. Die Eltern, die gesamten Ahnen, werden momentan (da ja vom VDH nicht anerkannt) vernachlässigt. All das, was in über 20 Jahren zu geordneten Zuchtverhältnissen und einer enormen Verbesserung der Rasse geführt hat, ist zur Zeit außer Kraft gesetzt.

Bei der HD hingegen, die in der Rasse eine relativ untergeordnete Rolle spielt, wird Haarspalterei betrieben, weil die Röntgenbilder in den Vereinen von 12monatigen Hunden aufgenommen wurden, der VDH aber ein Alter von 15 Monaten fordert. Diese konsequente Handlungsweise wäre prima, wenn sie sich auf den gesamten Zuchtbereich erstrecken würde!

Der VDH gilt als nonplusultra der Hundezucht und für Welpeninteressenten gilt: "kauf beim VDH-Züchter". Leider bedeutet VDH-Züchter im Bereich der Weißen Schweizer Schäferhunde zur Zeit nicht die strengen Zuchtrichtlinien, die vorher usus waren. Zur Zeit kann Züchter im VDH werden:

- wer eine abgenommene Zuchtstätte hat und über einen Zuchthund verfügt, der

- 1. vom VDH einregistriert wurde

- 2. zwei Ausstellungen in der Offenen Klasse mit "sehr gut" absolvierte

- 3. ein entsprechendes Röntgenbild (HD-Vorsorge!) vorweisen kann. ( das bestimmte Kriterien erfüllen muss)

Die letzten Registrierungen und Ausstellungen haben leider eine Problematik aufgezeigt, mit dem niemand im Züchter- und Vereinskreis gerechnet hatte: Es werden Hunde einregistriert, die über Papiere verfügen. Ein Abgleich mit den umfangreichen vorhandenen Datenbanken erfolgt nicht. Die Ahnen werden gestrichen. Auch eine Wesenskontrolle erfolgt nicht. Im Grunde kann jeder weiße Schäferhund einregistriert werden. Damit sind exakt die Hunde mit in der Zucht, die vorher ausgeschlossen waren. Bei den antragstellenden Vereinen ist das noch in Ordnung, denn die Zuchtbuchämter verfügen weiterhin über die notwendigen Informationen. Es wäre zu wünschen, dass hier vor Zusage von Verpaarungen im Sinne der Rasse ein Informationsaustausch statt fände. Nur müssten dann Aussagen von Zuchtwarten berücksichtigt werden, die keine VDH-anerkannten Zuchtwarte sind.

Zwar haben auch wir einen größeren Genpool gefordert und darauf hingewiesen, dass das Zuchtpotential innerhalb des VDH gering sein könnte, aber es kann nicht im Sinne der Zucht sein, wenn -auf welche Weise auch immer- fehlerhafte Tiere wieder in die Zucht gelangen.

Dem VDH sei zu Gute gehalten, dass die Anerkennung einer eigentlich bestehenden Rasse in der Geschichte einmalig ist. Bisher waren die Anerkennungen ein Zuchtbeginn.

Sowohl bei der Registrierung als auch bei den Ausstellungen wird auf Typkonformität geachtet, das Wesen aber fast unberücksichtigt gelassen. Wenn ein Hund, der zitternd vor dem Richter auf dem Bauch kriecht, noch ein "SG" bekommt, was als Zuchtvoraussetzung ausreicht, steht zu befürchten, dass die Probleme, die in 20 Jahren mühevoll über Zuchttauglichkeitsprüfungen gelöst wurden, wieder aktuell werden. Die übertriebene Ängstlichkeit, die von einigen Hunden auf VDH-Ausstellungen an den Tag gelegt wird, war auf Weißen Schäferhund-Schauen des BVWS, des RWS etc in den letzten Jahren nicht mehr vorhanden.

Der Welpenkäufer kauft in der Sicherheit des VDH-Siegels womöglich einen Hund, der von ängstlichen Elterntieren stammt. Wenn die Mutter scheu war, gibt sie es in den ersten 8 Prägungswochen effektiv an ihre Welpen weiter. Das ist mit Sicherheit nicht das, was sich viele von der Anerkennung der Rasse und einer Zucht innerhalb des VDH erträumt haben. Das Image wurde in den letzten Jahren durch kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit, aber auch durch Besitzer, die keine Vergleiche mit anderen Rassen scheuten, stark verbessert. Die Anerkennung wurde geschafft und in den Ländern rund um Deutschland wird mit strengen Anforderungen an die Hunde gezüchtet. Hier in Deutschland laufen die Uhren aber rückwärts und nicht nur die Fortschritte innerhalb der Rasse, sondern auch deren Image wird zerstört.

Es bleibt zu hoffen, dass SCHNELL eine Entscheidung bezüglich der Mitgliedschaft der Antragsteller getroffen wird. Mit Anerkennung des Vereins würden die Zuchtrichtlinien wieder ihre Gültigkeit erhalten und jeder, der fortan mit dem VDH-Siegel werben möchte, müsste sich diesen Zuchtrichtlinien (seinen es nun die des RWS oder des BVWS) unterwerfen. Beide Vereine gehen aber konform in der Meinung, dass eine wesensmäßig Überprüfung der Zuchttiere notwendig ist.

Der VDH und die FCI gelten als Garanten für eine seriöse und artgerechte Hundezucht. Allein aus diesem Grunde sollte es in aller Interesse sein, dass wieder Richtlinien zum Einsatz kommen, die sich in der Zucht der Weißen Schweizer Schäferhunde bewährt haben. Ich bin weiterhin der Meinung, dass eine gute Zucht nur über den VDH führen kann. Dennoch stehen wir nicht am Beginn einer Rassezucht wie andere antragstellende Vereine, sondern wir haben eine Rasse, die bereits zahlreich in Reinzucht in der Welt vertreten ist. Allein diese Tatsache hat zu diesen Problematiken geführt.

Den Welpeninteressenten bleibt zu raten, dass sie sich -ob VDH-Zucht oder nicht- weiterhin die Zuchtstätten genau ansehen und auf das Verhalten der Hunde der Zuchtstätte achten und sich eventuell auch die Ahnentafelkopien der ursprünglichen Ahnentafeln vorlegen zu lassen. Nach Registrierung im VDH wurden die Originale zwar eingezogen, jedem Besitzer wurde aber eine Kopie zur Verfügung gestellt.

Copyright Gaby von Döllen, Worpswede, im November 2003

(Übernahme und Abdruck nur mit ausschließlicher Genehmigung der Autorin)